Der Göttertanz

Göttertanz auf Schloss ThurnGöttertanz auf Schloss Thurn
Spiegelpalast 2009

Der Goettertanz war mehr als eine Party. Ich bezeichnete ihn gern als rituelle Zusammenkunft.

Musikalisch wurde dem Publikum eine sehr eigene und konseqente Mischung aus Neocelt, Paganfolk, Gotik, Romantik, Apocalyptic,  Ritual und Neoklassik geboten. Die meisten Menschen auf dieser Erde wissen wahrscheinlich noch nicht einmal etwas mit diesen Begriffen anzufangen. Dennoch mauserte sich diese Veranstaltung seit Ende der 90er Jahre zu einem international bekannten Ereignis.

Der erste Goettertanz im Top Act Zapfendorf war am 28.10.2000. Bis 2012 fand er dort vier Mal im Jahr statt. Die Wurzeln der rituellen Zusammenkunft reichen aber bis in die Mitte der 90er Jahre zurück. Damals begann ich eine Veranstaltungsreihe (u.a. im Rockwerk Hof), die ich Ragnarök nannte und die ich später in Goettertanz umbenannt habe, da es mit der Zeit viele Ragnaröcke 🙂 gegeben hatte.

Schon damals waren die Gothic-Partys zunehmend von technoiden Electrosounds dominiert, sodass der Goettertanz mit seiner Konsequenz, vor allem Neofolk, Rituelles und Mittelalterliches in den Mittelpunkt eines technisch gut ausgestatteten großen Floors zu rücken, sofort auf reges Interesse stieß. Viele wunderbare Lieder, die auf den ersten Titellisten erscheinen, haben bis in die Gegenwart dieser rituellen Zusammenkunft überlebt und werden auch heute noch auf nmanchen Dark Floors gespielt. Natürlich sind auch neue Stücke hinzugekommen, aber diese fügten sich in den Kanon der Klassiker ein.

Equinox

Von Anbeginn legte ich Wert auf Atmosphäre und einen eigenen Dresscode, der nicht nur stumpf „schwarz“ gebot, sondern in erster Linie angemessene Eleganz – und – auf ein Buffet, das sich sehen lassen kann. Es entstand seit Anbeginn unter aufopferungsvoller Mithilfe zahlreicher Freunde, ohne deren Geduld und Fleiß der Goettertanz nicht das geworden wäre, was er ist. Lediglich zur Wintersonnenwende wurde in Zapfendorf aus Protest kein Buffet gemacht, da ja im Umfeld der Weihnachtsfeiertage immer genug gefressen werden muss.

Die Gäste wurden zudem immer mit Sekt empfangen und entsprechend eingestimmt. Schon damals profitierte die Veranstaltung von jener stilistischen Bandbreite, welche die Szene immer wieder zu spalten drohte. Viele Klassiker des Goettertanzes fristeten in anderen Diskotheken in kleinen Kellern höchstens ein Nischendasein.

Ich hatte eine konkrete Vorstellung davon, welchen Sound diese Stücke brauchten, um tanzbar zu werden. Und so wummerten auf dem großen Floor Stücke, wie „Wolftribes“ oder „Dragonfly“ ein ganz neues Gefühl herbei. Sogar a capella Choräle von Dead Can Dance ließen schon die Gläser in den Regalen wandern.

„Skudrinka“ von Corvus Corax war dann eines der ersten mittelalterlichen Stücke, von denen ich mich als DJ verstanden fühlte. Und so hievte ich das gute Stück auf eine damals aktuelle DJ Complilation und machte es zum Hit der La nuit Obscure. Dieses Engagement wurde allumfassend honoriert. Der Goettertanz strahlte, dank seines überaus phantasievollen Publikums, Würde, Glanz und Stil aus.

Ein weiterer musikalischer Grundstein des Goettertanzes ist das Album „Flamma Flamma“ von Nicholas Lens, dessen Entdeckung zurück in die Zeit der Etage reicht und dem damaligen Artwork Sänger Ralf und unserer Equinox zuzuschreiben ist…
Nach meinen ersten Konzertbesuchen bei Faun und Omnia- und nicht zuletzt durch das Ende des Neofolk-Hypes – kamen verstärkt neukeltische Einflüsse hinzu. Jener, inzwischen auch soundtechnisch gereifte Paganfolk machte den Goettertanz fröhlicher. Ebenso brachten die musikalische Entwicklung solcher Crossover-Projekte, wie Helium Vola, Qntal und Garmarna immer wieder auch elektronische und rockige Elemente mit ein.

Göttertanz 2011

Auch schaffen vollkommen untypische Lieder aus EthnoPop, Filmmusik oder gar aus den Charts in die Playlisten. Björk, Massive Attack, Serj Tankian und auch mal „Desert Rose“ von Sting passten mitunter sehr gut zu Rosa Crux und Moon Lay Hidden Beneath A Cloud, ging es doch auch beim Goettertanz nicht zuletzt darum, emotionale Gegensätze musikalisch auszuloten und Musik, die wirklich berührt und nachhaltig beeindruckt, zu genießen, in ihr aufzugehen, sich darin zu vergessen und wieder aufzuerstehen.


Aber alles hat ein Ende: Am 22.09.2012 war der letzte Göttertanz im Top Act Zapfendorf. Die einstige Gothic Hochburg Nordbayerns haben wir am 03.11.2012 geschlossen. Und so war es an der Zeit, sich neu zu orientieren und auch generell alles Weitere erst einmal in Frage zu stellen. Nach nunmehr über 15 Jahren habe ich mich zwar aus meinem DJ-Dasein sehr zurückgezogen, jedoch sollte der Goettertanz noch lange meinen Weg begleiten. Der erstaunliche Erfolg dieser Rituellen Zusammenkunft spiegelte sich in Gastauftritten beim Wave Gotik Treffen und in DJ Anfragen aus allen Ecken Europas …

Nicht zuletzt durch die Entdeckung der Kreuzmühle, einer neuen, einmaligen Location… (naja, eigentlich hat mich die Location entdeckt und der Betreiber Remo mich überredet, bei ihm aufzulegen… was ich keinen Tag bereut habe), wurde ich motiviert, weiterzumachen. Und so stand ich noch lange für weitere Göttertanz-Veranstaltungen an außergewöhnlichen Orten gern zur Verfügung.

Göttertanz 2014

2013 wurde etwas am Konzept gefeilt. Um den Göttertanz quasi „reisefähig“ zu machen. Schon bei den ersten Goetterttänzen, die im Wesentlichen immer noch vom Team des Top Acts, also von uLI und Judith Herwig, Heiko Hannig, Kilian Keuchel und vielen engagierten Helferinnen und Helfern realisiert werden, wurde beeindruckendes Sound- und Lichtequipment aufgefahren, um den abgelegenen Sälen Leben einzuhauchen. Zudem war Lisa Morgenstern elegentlich als DJ mit von der Partie. Und ehemalieg Mitstreiter, wie DJ Crusty undDJ Markus S. beschallten einen 2nd Floor.

Anno 2015 hatten wir dann im Heroldsbacher Schloss Thurn eine Heimat gefunden, in der sich ein jährlicher Göttertanz abzeichnete. Highlights waren außerdem eine Gala-Nocturna in  Antwerpen und 2015 der Göttertanz im  Alten Stadtbad in Leipzig vor über 1000 Menschen.

musicforthemasses
Göttertanz auf dem Wave Gotik Treffen in Leipzig

2021 sind es nun drei Jahre, die wir vergeblich auf einen neuen Göttertanz gewartet haben. Ich warte nicht mehr, denn als hauptberuflich agierender Kulturschaffender haben mich die Pandemiemaßnahmen in meiner Heimat Berlin, im Verlag und als Autor sehr schwer getroffen. Und ich habe berufsbedingt einen guten Überblick über den Grad der Zerstörung. Über das Trümmerfeld, was die Maßnahmen in der Kulturbranche im weitesten Sinne und in den Köpfen hinterlassen haben.

Ich kann mir eine Party oder ein Konzert selbst unter den besten „Bedingungen“, die uns in „Aussicht“ gestellt werden, nicht vorstellen. Da habe ich einfach zuviel Diktatur hinter mir, zu wenig Frustrationstoleranz und dann doch noch zu viel Selbstachtung.

Zudem haben wir viele Freunde aus den Augen verloren, Netzwerke sind zerfallen, wir spüren die wirtschaftlichen und logistischen Defizite, die den Alltag in einem Medienbetrieb erschweren. Wir ackern durch, um nicht draufzugehen. Wir sind allein in einer Welt in der sich Menschen nach Meinungen separieren und sich selbst wegsperren, in der gezwungener Maßen jeder sich selbst der Nächste ist, in welcher die Politik an vielen Stellen versagt und die Bürokratie Dinge unwiderbringlich zerstört – und in der alle im Leerlauf Vollgas geben. Mein Sohn soll nicht in so einer Welt aufwachsen müssen.

Was bleibt, sind lebendige Erinnerungen an eine großartige, einmalige Zeit, an unvergleichlich schöne Nächte. Und ein großes, wenn auch verblassendes „Vielleicht“.

ToM (2012, 2013, 2018, 2021)